Flüchtlingspolitik in Deutschland / Europa

   








Koalitionsausschuss am 6.09.2015

Deutschland ist in diesen Wochen und Monaten das Zielland einer nie gekannten Zahl von Flüchtlingen, die in unserem Land Sicherheit vor Krieg, Verfolgung und Not suchen.

Hundertausendfach begegnen die Menschen in Deutschland diesen Flüchtenden mit einer nie gekannten Hilfsbereitschaft und Solidarität.

Diese große Welle der Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit, aber auch die wirtschaftliche Stärke unseres Landes sind der Grund dafür, dass wir diese Herausforderung bewältigen können. Wir sind den Menschen unseres Landes dankbar dafür.   

Klar ist aber auch, dass wir diese Herausforderung nur bewältigen können, wenn wir

Erfolge im internationalen Kampf gegen die Fluchtursachen (Bürgerkriege,

Destabilisation ganzer Staaten und terroristische Gefahren) erzielen und Hilfe für die

Nachbarländer der Krisengebiete erbringen. Vor allem brauchen wir auch

innereuropäische Solidarität und eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik der

Europäischen Union. Dies steht ebenso auf der Tagesordnung wie die Schaffung einer

nachhaltigen Infrastruktur für Flüchtlinge und ihre Integration in unser Land.

Der Koalitionsausschuss hat sich deshalb mit der aktuellen Flüchtlings- und Asyl-

Situation beschäftigt und sich auf eine gemeinsame Position für das weitere Vorgehen

und die anstehenden Gespräche und Entscheidungen auf Ebene der EU und mit den

Bundesländern verständigt:


I. Bekämpfung der Fluchtursachen und Stabilisierung der Nachbarländer

• Wir werden prüfen, ob ähnlich wie in Niger weitere Anlaufstellen und

Einrichtungen in Nordafrika eingerichtet werden können.

• Wir wollen das EU-Engagement zur Bekämpfung der Fluchtursachen in den

hauptsächlichen Herkunftsländern durch europäische Mittel verstärken.

• Deutschland wird seine internationale Verantwortung wahrnehmen und sein

Engagement für die Krisenbewältigung- und -prävention ausbauen. Dafür werden

die entsprechenden Mittel im Haushalt des Auswärtigen Amtes um jährlich 400

Mio. Euro aufgestockt. Dies dient der Unterstützung bei der Versorgung und

Betreuung von Flüchtlingslagern in den Krisenregionen und der Stabilisierung

von Herkunfts- und Transitländern durch die Festigung von Staatlichkeit und den

Aufbau von institutionellen Strukturen sowie die Verstärkung unseres

Engagements in den Bereichen Konfliktlösung und Mediation. Auch die

Kommunikationsarbeit im migrationspolitischen Umfeld soll intensiviert werden.

• Visastellen in den Auslandsvertretungen werden verstärkt.

• Konzentration von Mitteln des BMZ auf Bekämpfung von Fluchtursachen in den

wichtigsten Herkunftsländern.


II. Europa

Europa und Deutschland stehen angesichts der Entwicklung im Mittleren und Nahen

Osten sowie in vielen Ländern Afrikas und des damit verbundenen starken Andrangs

von Asylsuchenden und Flüchtlingen vor einer großen Herausforderung, die von der

Europäischen Union nur gemeinsam und auf der Grundlage ihrer Werte- und

Rechtsordnung bewältigt werden kann. Deutschland steht zu seinen humanitären und

europäischen Verpflichtungen und erwartet dies ebenso von seinen Partnern. Dazu

gehören die Einhaltung der Dublin III-Verordnung und die Bereitschaft zu

gesamteuropäischer Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Die am

Wochenende getroffene Aufnahmeentscheidung von Deutschland und Österreich soll

eine Ausnahme bleiben.

Bei den bevorstehenden Treffen auf europäischer Ebene, zunächst beim Sondertreffen

der europäischen Innen- und Justizminister am 14. September, sollen daher folgende

Themen im Mittelpunkt stehen:

• Schaffung von menschenwürdigen Aufnahme- und Registrierungseinrichtungen

(sog. Hotspots) in den EU-Mitgliedsstaaten, an deren Außengrenzen der

Flüchtlingsandrang besonders groß ist. Sie sollen von der EU unter Beteiligung

des UNHCR gemeinsam mit den betroffenen Staaten errichtet und betrieben

werden, damit eine ordnungsgemäße Prüfung und Entscheidung der

Asylverfahren vor der Rückführung oder Weiterreise in andere Mitgliedsstaaten

sichergestellt ist.

• Eine solidarische und faire Verteilung und Aufnahme schutzbedürftiger

Flüchtlinge durch die EU-Mitgliedsstaaten.

• Eine gemeinsame EU-Liste sicherer Herkunftsländer.

• Eine grundlegende Reform der EU-Asylpolitik mit dem Ziel eines einheitlichen

EU-Asylrechts

• Eine wirksame Bekämpfung der Schleuserkriminalität.

• Eine wirksame praktische und finanzielle Unterstützung der aktuell besonders

belasteten EU-Staaten.

• Eine Verstärkung des EU-Engagements zur Bekämpfung der Fluchtursachen in

den hauptsächlichen Herkunftsländern.




III. Bundesebene, Länder und Kommunen

Bund, Länder und Kommunen stehen in einer Verantwortungsgemeinschaft und

müssen mit einer großen nationalen Gemeinschaftsaktion in kurzer Zeit die

Voraussetzungen für die Aufnahme einer beispiellos hohen Zahl von schutzbedürftigen

Menschen und die Rückführung vollziehbar Ausreisepflichtiger schaffen. Angesichts der

aktuellen Prognosen reichen die bereits bisher getroffenen oder in Vorbereitung

befindlichen finanziellen, personellen, organisatorischen und gesetzlichen Maßnahmen

nicht aus. Deshalb werden wir gemeinsam mit den Ländern schnell ein politisches

Gesamtpaket erarbeiten, das noch im Oktober von Bundestag und Bundesrat

beschlossen werden soll.


1. Asylverfahren einschließlich von Rückführungen beschleunigen

• Priorität haben weiterhin die Beschleunigung der Asylverfahren und der Abbau

der beim BAMF anhängigen Verfahren, u.a. durch die zügige Besetzung der

bereits beschlossenen neuen Stellen und der unbürokratischen Gewinnung

weiteren Personals zur Schaffung zusätzlicher Entscheidungskapazitäten.


• Der Bundesminister des Innern und die Länder setzen eine hochrangig besetzte

Taskforce zur Beschleunigung der Verfahren und Stellenbesetzung beim BAMF

ein.

• Bei der Bundespolizei werden 3.000 zusätzlich Stellen für die kommenden drei

Jahre geschaffen.

• Kosovo, Albanien und Montenegro werden durch Gesetzesänderung zu sicheren

Herkunftsstaaten bestimmt.

• Die Höchstdauer des Aufenthaltes in Erstaufnahmeeinrichtungen kann bis zu

6 Monate betragen – entsprechend verlängert sich die Residenzpflicht. Die

Verteilung auf die Kommunen erfolgt in diesen Fällen ab Asylantragstellung.

• Für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern verlängert sich der Aufenthalt

in der Erstaufnahmeeinrichtung bis zum Ende des Verfahrens und der in der

Regel darauf folgenden Rückführung.

• Unterbringung wiedereingereister Folgeantragsteller in

Erstaufnahmeeinrichtungen.


2. Menschenwürdige Erstaufnahmeeinrichtungen und Flüchtlingsunterkünfte

schaffen.

• Der Bund wird Länder und Kommunen beim Ausbau von ca. 150.000

winterfesten Plätzen in menschenwürdigen Erstaufnahmeeinrichtungen für

Flüchtlinge verstärkt unterstützen. Der Bund wird Ländern und Gemeinden hierzu

alle verfügbaren Plätze in Bundesliegenschaften zur Unterbringung von

Flüchtlingen auf Anforderungen sofort und mietzinsfrei zur Verfügung stellen und

die Kosten für die Herrichtung übernehmen.

• Soweit Bundesliegenschaften nicht zur Verfügung stehen, wird der Bund die

Schaffung der erforderlichen Plätze finanziell angemessen unterstützen.

• In einem Beschleunigungsgesetz soll für einen befristeten Zeitraum für die

Bewältigung der aktuellen Asyl- und Flüchtlingssituation die Abweichung von

geltenden Regelungen oder Standards ermöglicht werden. Die Länder werden

ihrerseits zu entsprechenden Regelungen ermuntert.


3. Fehlanreize beseitigen

• Bargeldbedarf in Erstaufnahmeeinrichtungen soll so weit wie möglich durch

Sachleistungen ersetzt werden.

• Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten sollen bis zum Ende des

Verfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben.

• Die Auszahlung von Geldleistungen soll längstens einen Monat im Voraus

erfolgen.

• Die Höchstdauer zur Aussetzung von Abschiebungen wird von 6 auf 3 Monate

reduziert.

• Sozialleistungen für vollziehbar Ausreisepflichtige (ohne Duldung) werden

reduziert.


4. Entlastung für Länder und Kommunen

Der Bund wird zur Bewältigung der Flüchtlings- und Asylsituation die Ansätze im

Haushalt 2016 um 3 Mrd. Euro erhöhen und Ländern und Kommunen weitere

3 Mrd. Euro zur Verfügung stellen. Über die Einzelheiten der Verwendung wird mit den

Ländern bis zum 24. September 2015 Einvernehmen erzielt.


5. Integration verbessern

Menschen, die Anspruch auf Schutz haben und dauerhaft in Deutschland bleiben,

sollen schnell Arbeit finden und sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können.

Zentrale Voraussetzung für die Integration in Gesellschaft und Arbeitswelt sind

Deutschkenntnisse. Der Bund wird die Integrationskurse wie mit den Ländern bereits

vereinbart für Asylbewerber und Geduldete öffnen und die Mittel entsprechend dem

gestiegen Bedarf aufstocken. Ebenso wird eine bedarfsgerechte Finanzierung der

berufsbezogenen Sprachförderung durch zusätzliche Bundesmittel sichergestellt.

• Das Leiharbeitsverbot für Asylbewerber und Geduldete entfällt nach drei

Monaten.

• Um die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen frühzeitig und zielgerichtet zu

unterstützen, werden wir die Mittel für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und für

die berufsbezogene Deutschförderung und für qualifiziertes Personal in den

Jobcentern entsprechend dem steigenden Bedarf aufstocken.


6. Alternativen zum Asylweg schaffen

Für Angehörige der Staaten des Westbalkan (Bosnien-Herzegowina, Mazedonien,

Serbien, Kosovo, Albanien und Montenegro) wollen wir Möglichkeiten der legalen

Migration aus dem Herkunftsland zur Arbeitsaufnahme in Deutschland schaffen. Wer

einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag mit tarifvertraglichen Bedingungen vorweisen

kann, soll arbeiten oder eine Ausbildung aufnehmen dürfen.

 

7. Sozialen Wohnungsbau ausbauen

Der aktuelle Zuzug von Flüchtlingen und Asylbewerbern verstärkt den Bedarf an

bezahlbarem Wohnraum, insbesondere auf bereits angespannten Wohnungsmärkten.

Der Bund unterstützt Länder und Kommunen beim Neubau von Wohnungen und bei der

Ausweitung des Bestands an Sozialwohnungen.

• Der Bund wird Kommunen und kommunalen Gesellschaften über

Konversionsliegenschaften hinaus auch weitere Immobilien und Liegenschaften

schnell und verbilligt für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen.

• Der Bund und die Länder prüfen, wie mittels steuerlicher Anreizinstrumente der

Neubau von preiswertem Wohnraum in Gebieten mit angespannter

Wohnungslage gefördert werden kann.

8. Unterstützung und Koordinierung des freiwilligen Engagements

Zahlreiche Menschen in Deutschland engagieren sich ehrenamtlich bei der Aufnahme

von Menschen in Not. Das freiwillige Engagement der Bürgerinnen und Bürger ist von

unschätzbarem Wert. Wir werden diese Arbeit unterstützen und beim Freiwilligendienst

des Bundes bis zu 10.000 zusätzliche Stellen einrichten.