
Auch am achten Tag des Ausnahmezustands hat sich die Lage in der von Kurden bewohnten Stadt Cizre im Südosten der Türkei, unmittelbar an der Grenze zu Syrien, nicht entspannt. In Cizre gilt
weiter ein völliges Ausgehverbot, die türkische Armee riegelt die von 120 000 Menschen bewohnte Stadt ab. Wasser und Strom sind abgestellt; Wassertanks, die die Stadt versorgen sollen, werden
an den Straßenkontrollen am Weiterfahren gehindert. Am Freitag fand selbst das Freitagsgebet nicht statt.
In Cizre halten sich seit dem Beginn des Ausnahmezustands zehn der 80 Abgeordneten der prokurdischen Partei HDP auf, die im Juni erstmals ins Parlament gewählt worden waren. Die Parlamentarier sind eine der letzten Verbindungen der Stadt zur Außenwelt. Aus dem belagerten Cizre senden sie Nachrichten und Fotos von zerstörten Häusern und Geschäften. Ihnen zufolge sind in Cizre seit dem Beginn der Belagerung 21 Zivilisten getötet worden, acht allein am Mittwoch. Zuletzt wurde in der Nacht zum Freitag ein zwölf Jahre alter Junge erschossen, der das Haus seiner Eltern verlassen wollte. Krankenwagen dürfen nicht fahren, um Verletzte in die Krankenhäuser zu befördern. Auf den Straßen sind nur Angehörige der türkischen Sicherheitskräfte zu sehen. Tote werden in Kühltruhen aufbewahrt, weil sie nicht bestattet werden dürfen.
HDP erhielt in Cizre fast 90 Prozent der Stimmen
Die zehn eingeschlossenen Abgeordneten stehen mit Dutzenden weiteren HDP-Abgeordneten in Kontakt, die 27 Kilometer westlich von Cizre in der Kleinstadt Idil festgehalten werden. Zu Beginn der Woche war die Gruppe in einem Autokonvoi aufgebrochen, um nach Cizre zu gelangen. Únter ihnen sind der Ko-Vorsitzende der HDP Selahattin Demirtaş sowie die beiden Minister Müslüm Dogan und Ali Haidar Konca. Hundert Kilometer vor Cizre wurde der Konvoi an einer Straßensperre aufgehalten. Die Abgeordneten setzten ihre als „Friedensmarsch“ deklarierte Aktion zu Fuß Richtung Cizre fort. Der HDP-Vorsitzende Demirtas sagte, Ziel der Aktion sei, die Belagerung von Cizre zu beenden und den Konflikt friedlich beizulegen. Die Stadt ist eine Hochburg der HDP. Bei der Parlamentswahl am 7. Juni hatte die HDP in Cizre fast 90 Prozent der Stimmen erhalten,
Als die Abgeordneten am Donnerstagmorgen um drei Uhr versucht hätten, von Idil wieder mit Autos weiter zu fahren, hätten türkische Sicherheitskräfte sie mit Hilfe von Wasserwerfern daran
gehindert. Sie seien von gepanzerten Fahrzeugen umstellt worden, sagte telefonisch die aus Celle stammende HDP-Abgeordnete Feleknas Uca. Wie Schwerstverbrecher seien sie behandelt worden. Die
Sicherheitskräfte beriefen sich auf einen Erlass des Gouverneurs der Provinz Sirnak. Mehrere Hundert Soldaten und Polizisten hätten sie danach umstellt und daran gehindert, über die Berge zu Fuß
weiter zu marschieren, berichtete die Abgeordnete. Zudem wurden tausend Personen aus Idil sowie Friedensaktivisten aus dem Westen der Türkei durch Wasserwerfer und Tränengas daran gehindert, die
Stadt in Richtung Cizre zu verlassen. Am Freitag erreichten zehn weitere HDP-Abgeordnete Idil, wo die Fraktion ihre wöchentliche Sitzung abhielt, die in Cizre geplant war.
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